Die Frage nach dem Sinn oder Unsinn eines Auslandsaufenthaltes direkt im Anschluss an das Abi stellen mir meine Kunden immer wieder. Ich persönlich finde es eine gute Sache. Unter anderem deshalb, weil viele Abiturienten erst 17 oder 18 Jahre alt sind. Ein solcher Aufenthalt im Ausland fördert die persönliche Entwicklung, die Reife, das Verantwortungsbewusstsein und das Selbstbewusstsein, das bei vielen jungen Menschen nicht ausreichend entwickelt ist. Eine, die diesen Schritt gewagt hat, ist Elena aus Günzburg. Mit ihr habe ich über ihre Zeit in Nicaragua gesprochen.
Liebe Elena, Sie haben sich nach Ihrem sehr guten Abitur (Note 1,1) für einen Auslandsaufenthalt entschlossen. Was war der Grund?
Ich sah darin eine so nicht wiederkehrende Möglichkeit, einen anderen Teil der Erde mit seiner Kultur, seinen Einwohnern und seiner Sprache auf eine unglaublich direkte Weise kennenzulernen. Nicht nur darüber zu lesen, sondern ein Teil davon zu werden, das heißt praktisch lernen, erfahren, wie unterschiedlich Kultur sein kann und auch Deutschland und das eigene Umfeld aus einer ganz anderen Perspektive zu betrachten.
Außerdem war mir wichtig, nach dem Stress in der Abiturzeit, in der ich immer nur auf das nächste Ziel konzentriert war, Zeit zu haben, um auch einmal umfassender nachzudenken, über die Welt, Zwischenmenschliches und mich selbst, um nicht nur meine Fähigkeiten, sondern auch meine Einstellungen und meine Persönlichkeit zu entwickeln. Dies wurde in meinem Auslandsjahr auch in sehr großem Maße angeregt, einfach dadurch, dass ich mit Unbekanntem konfrontiert wurde und in manchen Dingen an meine Grenzen gestoßen bin.
Sie stammen aus einer ländlichen und behüteten Gegend. Fiel es Ihnen schwer, für längere Zeit Deutschland, Ihre Familie und Ihre Freunde zu verlassen, um nach Nicaragua zu gehen?
Nein. Zumindest stand dies nie dem Entschluss im Wege, zu fahren. Natürlich war der Abschied schwer und ich habe von Zeit zu Zeit meine Familie und Freunde sehr vermisst. Aber es war ja dann doch nur ein Jahr, nach dem man sich wieder in die Arme schließen kann. Und die Erfahrungen, die man macht und die einen persönlich so weiterbringen, wiegen diese Zeit der Trennung auf jeden Fall auf.
Mit welcher Organisation sind Sie gefahren? Haben Sie positive Erfahrung gemacht und würden Sie heute etwas anders machen?
Ich war mit dem entwicklungspolitischen Freiwilligenprogramm „weltwärts“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterwegs, von dem auch ein großer Teil der Finanzierung übernommen wurde. Die Umsetzung erfolgt dabei durch eine zivile deutsche Entsendeorganisation in Zusammenarbeit mit einer Vereinigung im Zielland. Die deutsche Entsendeorganisation übernimmt Vermittlung, organisatorische wie ideelle Vorbereitung sowie Begleitung während des Auslandsjahres. Daher sollte sie gut ausgewählt sein. Bei mir war das die christliche Organisation APCM, die uns Freiwillige weit besser als üblich vorbereitet und begleitet hat und mit der ich daher rundum zufrieden war. Ich kann sie absolut weiterempfehlen! Andere qualitative, auch nicht-christliche Organisationen, findet man im Verzeichnis des „Qualitätssiegel Freiwilligendienste“ unter www.quifd.de.
Wo waren Sie in Nicaragua und wie sah Ihr Alltag dort aus? Gab es Gefahren oder haben Sie sich mal unsicher gefühlt?
Ich habe in der Kleinstadt Masatepe gelebt und im Bibliotheksprojekt „Biblioteca Semillas“ gearbeitet. Dieses hat sich zum Ziel gesetzt, Kindern die Freude am Lesen zu vermitteln und ganzheitliche Bildungsangebote aus verschiedenen Bereichen anzubieten. Wir Freiwilligen haben beim allgemeinen Bibliotheksbetrieb mitgeholfen, das heißt, mit den Kindern gelesen und bei den Hausaufgaben geholfen, aber auch zahlreiche eigene Projekte umgesetzt, beispielsweise Englischunterricht an abgelegenen Schulen, Musikunterricht oder Ferienprojektwochen.
Meine Freizeit habe ich hauptsächlich mit meiner riesigen einheimischen Gastgroßfamilie und Freunden aus meiner dortigen Kirchengemeinde verbracht sowie mit Ausflügen in die nicaraguanische Natur. Gefahr habe ich kaum erlebt, denn Nicaragua ist ein relativ friedliches Land. Und wie überall gilt: die Einheimischen wissen ganz genau, was man tun und was man besser lassen sollte. Wenn man sich daran hält, ist man in der Regel keinen Gefahren ausgesetzt.
Konnten Sie schon etwas Spanisch vorab und wie lange hat es gedauert, bis Sie sich gut verständigen konnten?
Ich habe mir vor dem Abflug an zwei Nachmittagen die Bildung von Präsens, Vergangenheit und Zukunft der regelmäßigen Verben erklären lassen, damit ich einfachste Sätze bilden konnte. Wirkliche Spanischkenntnisse hatte ich also eher nicht. Man kommt aber schnell rein, gerade wenn man schon Latein oder Französisch hatte und wenn man sich vor allem einfach zwingt, zu reden. Egal wie falsch der Satz ist und wie lange die Bildung dauert.
Ich habe gemerkt, wie ich jeden Tag besser wurde. Gut verständigen konnte ich mich nach etwa sechs Wochen, um wirklich alles zu verstehen habe ich schon sechs Monate gebraucht. Bei der Planung des Auslandsaufenthaltes sollte man sich allerdings genau informieren, denn einige Entsendeorganisationen verlangen gute oder zumindest grundlegende Kenntnisse der Landessprache.
Würden Sie einen Auslandsaufenthalt nach dem Abitur auch unseren anderen Kunden empfehlen? Was war Ihr persönlicher Benefit und war der Aufenthalt eine wertvolle Erfahrung für Ihr jetziges Studium?
Auf jeden Fall! Es eröffnet eine ganz andere Sicht auf die Welt und man profitiert innerhalb kürzester Zeit von einer Menge von Lernerfahrungen. Diese betreffen Bereiche der Persönlichkeit genauso wie interkulturelle Kompetenz, Sprache und Verständnis von globalen Strukturen, die man in jedem Studium und vor allem im Beruf in unserer heutigen globalisierten Welt gebrauchen kann.
Für mich persönlich sind diese entwicklungspolitischen Erfahrungen in meinem aktuellen Studium der Politik- und Rechtswissenschaft Gold wert, weil ich die jetzt erlernten Theorien mit praktischen erlebten Beispielen in Verbindung bringen kann.
Wenn man sich für ein Freiwilligenjahr entscheidet, sollte man allerdings wissen, dass es nicht immer leicht sein wird und man sehr wahrscheinlich in der Anpassung an eine fremde Kultur an seine eigenen Grenzen stoßen wird. Aber genau dadurch tritt der große Lernerfolg auf, und die Meisterung der schwierigen Situationen bewirkt Verständnis für Fremdes, Selbstreflexion und -bewusstsein sowie eine unglaubliche Erweiterung des eigenen Horizontes!