Eltern kennen die Problematik nur zu gut: ihre Sprösslinge – vornehmlich die Jungs – spielen nach ihrem Empfinden dauernd Computerspiele, sind für nichts anderes zu begeistern, stundenlang sitzen sie am Schreibtisch und starren auf Monitore, sind wenig ansprechbar, gegessen und getrunken wird nebenbei und die schulischen Leistungen lassen nach oder sind erst gar nicht da, wo sie aus Sicht der Eltern sein könnten. Berichterstattungen hierzu gibt es zu Hauf und viele sind besorgniserregend – Zeit, sich mit diesem Thema aus Sicht der Berufsberatung zu beschäftigen!
Um es gleich vorwegzunehmen: ich sehe die Dinge anders als die allermeisten Eltern – und zwar sehr entspannt. Daher will ich mit diesem Artikel nicht wie in den anderen vor dieser Berufswahl „warnen“, sondern Fakten bringen, Gemüter beruhigen und zum Nachdenken anregen. Daher können diesen Beitrag zwar alle Jugendlichen ebenso lesen, aber er richtet sich vornehmlich an deren Eltern.
Die Problematik hierbei ist zunächst mal, dass Großeltern sowieso, aber auch die Generation der Eltern, die in den Fünfzigern sind, aus einem industriellen Zeitalter stammen. Es wurde also etwas produziert, was man anfassen konnte, immer größere Firmen entstanden, es wurde immer mehr produziert und immer neue und andere Güter. Firmen wurden patriarchalisch geführt, oftmals gar nicht so schlecht, weil das Gedankengut noch Werten unterlag, es gab Sicherheit in diesen Firmen, denn es ging durch das Wachstum immer weiter und nicht selten hat man in einem Unternehmen angefangen, sich dort hochgearbeitet und wurde mit dem Rentenalter nach 40 bis 50 Jahren Tätigkeit mit Fanfarenstößen verabschiedet.
Auch wenn es noch Industrie gibt – und auch immer geben wird – so sind wir doch schon lange nicht mehr im industriellen Zeitalter. Wir sind längst im digitalen Zeitalter angekommen, nur viele haben es noch nicht gemerkt! Während wir (ich muss mich ja dazuzählen) noch groß geworden sind mit einem Telefon mit Wählscheibe und einer kurzen (!) Schnur in die Wand, die uns zwang, Telefonate mit Freunden im Flur zu führen, was zur Folge hatte, dass von anderer Seite stets nach einigen Minuten gemeckert wurde mit der Frage, die so sicher war wie das Amen in der Kirche „Bist du bald fertig? Das kostet Geld!“, wachsen die Kids heute mit Smartphone, Flatrate, Internet, Skype und Computerspielen auf. Es ist einfach eine komplett andere Welt als es unsere war vor 30, 40 oder 50 Jahren. Das erfordert Akzeptanz – und zwar von Seiten der Eltern, denn die junge Generation kennt nichts anderes.
Wir Eltern sollten uns mit dieser Thematik viel mehr auseinander setzen, und zwar im konstruktiven Sinne, als immer nur zu meckern, abweisend und desinteressiert zu reagieren. Es spuken Horrorszenarien aufgrund von Presseberichten in den Köpfen, dass Ballerspiele sozial einsam machen und einstige Kinder („er war ein so braver Junge“) zu Amokläufern werden. Du lieber Himmel! Man könnte ebenso gut argumentieren, dass keiner ein Spitzensportler sein darf, weil die Gefahr viel zu groß ist, dass er dopt, dass er Rauschgift nimmt oder irgendwann seine Freundin oder Ehefrau ermordet!
Wie steht es denn um die Fakten in der Spieleindustrie? Denn wenn man sich schon informiert, dann sollte das nicht einseitig sein, sondern es sollten alle Seiten beleuchtet werden.
Die Spielebranche boomt, und seit Jahren steigen die Umsätze für Computer- und Handy-Spiele. Die gamescom in Köln ist inzwischen die nach Ausstellungsfläche und Besucherzahlen weltweit größte Messe für interaktive Spiele und Unterhaltung. Mit einem weltweiten Jahresumsatz von 79 Milliarden Dollar (im Geschäftsjahr 2013, Prognose 2015: zwischen 90-110 Milliarden Dollar) kommt die Branche auf mehr Umsatz als die Filmindustrie! Innerhalb Europas ist Deutschland der stärkste Spielemarkt. 2013 wurden hier über 2,5 Milliarden Euro für PC- und Konsolenspiele ausgegeben. Die Spiele stammen überwiegend aus den USA, Japan und Kanada, aber auch die deutsche Entwicklerlandschaft wächst. Sie umfasst aktuell etwa 125 Unternehmen, die sich auf die Ballungsgebiete Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, München und das Rhein-Main-Gebiet konzentrieren.
Übrigens: Unter dem Schlagwort „Serious Games“ finden Spielekonzepte auch zunehmend Eingang in Wirtschaftszweige wie den Automobil-, Flugzeug- und Anlagenbau, Medizin, Banken und Management. So unterstützen Entwicklungen in der Spielindustrie bildgebende Verfahren in der Medizin oder Simulatoren für gefährliche Situationen. Zudem werden Methoden der Künstlichen Intelligenz zum Erzeugen glaubhafter Charaktere und sozialer Interaktion auch in der Robotik immer wichtiger.
Entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Computer- und Videospielen sind nach Schätzungen des BIU (Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware) aktuell etwa 10.500 Menschen in Deutschland festangestellt oder freiberuflich tätig. Etwa 300 Unternehmen befassen sich hauptsächlich mit der Entwicklung oder Vermarktung von Games. Besonders in den Regionen Nordrhein-Westfalen, Bayern, Rhein-Main, Hamburg und Berlin sorgen Games für neue Arbeitsplätze. Große internationale Spiele-Publisher wie Sony, Ubisoft und Electronic Arts sind hier seit Jahren präsent und kooperieren mit deutschen Entwicklungsfirmen. Darüber hinaus avanciert Deutschland aktuell zu einem der weltweit wichtigsten Produktionsstandorte für Online- und Browser-Games. Unternehmen wie Bigpoint, Gameforge oder Wooga haben sich international einen Namen machen können und exportieren ihre Spiele mittlerweile in mehr als 50 Länder weltweit. Das wirkt sich ausgesprochen positiv auf den deutschen Arbeitsmarkt aus. Neben dem klassischen Game-Designer sind vor allem Fachkräfte in den Bereichen Webprogrammierung und Serverentwicklung stark nachgefragt. Aber auch in verwandten Zweigen der Internetwirtschaft, die an der Produktion und dem Betrieb von Online-Games beteiligt sind, ist eine steigende Nachfrage zu verzeichnen.
Zwei der bekanntesten Spiele unter den Jugendlichen sind World of Warcraft (WoW) und League of Legends (LoL). Im Grunde genommen ist es ein Sport wie viele andere Sportarten auch, den die jungen Leute betreiben, nur eben E-Sports. Wenn wir uns hier also die Sinnfrage stellen, können wir uns die ebenso stellen beim Volleyball, beim Golfen, Schwimmen, beim Fußball und beim Triathlon. Unsere „Kinder“ betreiben einen Breitensport, nur dass der am Schreibtisch vor dem PC stattfindet und nicht in einer Turnhalle oder Draußen. Wer hier argumentiert, dass sich die anderen Sportler aber noch wenigstens bewegen, der müsste Schach ebenso verbieten… LoL ist nichts anderes als Schach – es erfordert nur viel mehr Kompetenzen!
Wer talentiert ist, betreibt irgendwann Leistungssport (das sind dann diejenigen, von denen die Eltern in meinen Beratungen sagen, dass ihr Kind „exzessiv“ spielt) und wer kann und den Willen und die Lust hat, geht den Weg vom Amateur zum Profi. Es wird sich mir nie erschließen, warum Eltern auf ihr Kind stolz sind, wenn es als Profifußballer beim FC Bayern München spielt, während sie sich verschämt wegducken oder irritiert sind, wenn es ebenso horrende Gelder mit Computerspielen verdient. Wenigstens muss hier keiner seine Knochen hinhalten…
Die Zeitschrift stern hat sich in der vorletzten Ausgabe dankenswerter Weise diesem Thema gewidmet. Hier wird mehr als deutlich, was in der Spielebranche passiert. LoL wurde 2009 von Riot Games veröffentlicht. Mittlerweile spielen täglich 27 Millionen weltweit dieses Spiel. Jede Woche lässt der Hersteller in Berlin die besten Mannschaften Europas gegeneinander antreten und die Besten wie der 24-jährige Christoph Seitz, alias „nRated“, werden verehrt wie Popstars. Seitz ist genauso viel oder wenig einsam wie andere Spitzensportler auch. Er trainiert mit seinem Team täglich viele Stunden, wird von Analysten beraten und betreut von einem Profitrainer und einem Sportpsychologen. Zehntausende kommen in die Stadien, um diese Spitzenspieler live zu sehen, und im höchstdotierten Turnier werden mehr als zehn Millionen Dollar Preisgeld gezahlt; Profigolfer bekommen weniger… Und wenn ein Spieler das Team wechselt, werden wie im Fußball hohe Ablösesummen fällig. Es mag zunächst verwundern, dass der VfL Wolfsburg dieses Jahr zwei professionelle „Fifa-Soccer“-Spieler verpflichtet hat, letztlich ist es aber eine logische Konsequenz, da es zwischen der realen und der digitalen Welt immer mehr Berührungspunkte gibt. Es wird nicht mehr lange dauern, da wird dieser Sport olympisch.
Das Riesenpotenzial dieser Branche hat vor etwa einem Jahr Amazon erkannt und für eine Milliarde US $ das Portal Twitch gekauft. Viele reagierten mit Unverständnis, dass man so viel Geld ausgibt, um anderen beim Daddeln zuzusehen. Genauso gut könnte man sich aber auch an den Kopf fassen bei der Tatsache, dass man Geld ausgibt, um am Fernsehen anderen beim Fußball spielen zuzusehen! Wo bitte ist denn da der Unterschied?? Nach knapp einem Jahr befindet sich Twitch unter den meistbesuchten Webseiten der Welt mit über 100 Millionen Zuschauern monatlich!
Den Profi-Spielern bleibt jedoch nur ein kurzes Zeitfenster für ihre Karriere. Die meisten werden mit 17 Jahren Profi und gelangen ein, zwei Jahre später in die Weltspitze. Mit 25 Jahren ist es dann etwa vorbei, da die Reaktionen nachlassen – Spitzensportler machen bis zu 400 Klicks pro Minute (das sind etwas mehr als sechs Klicks pro Sekunde) und das über eine Stunde lang!
Was braucht es überhaupt an Fähigkeiten, um Spiele wie League of Legends zu spielen? Diese Frage ist wichtig, um der Entwicklung in den Kinder- und Jugendzimmern Rechnung zu tragen und eine sachliche Diskussion führen zu können.
Ein super schnelles Reaktionsvermögen ist unabdingbar, aber auch ohne Teamgeist, Durchsetzungsvermögen, Disziplin und Strategie geht hier nichts. Da die Sprache Englisch ist, lernen sie hier schneller Englisch als es ein herkömmlicher Unterricht in der Schule überhaupt vermag. Sie können innerhalb der Teams mehr und mehr Verantwortung übernehmen, sie lernen zu führen, Ziele aufzustellen, Mitglieder anzuweisen oder auch auszuschließen, wenn die Disziplin nicht erbracht wird. Um es zu verdeutlichen: Hier werden Management-Kompetenzen gestärkt und zwar in einer Form, wie es kein Studiengang „International Management“ je könnte!
Aber zurück zu meiner Berufsberatung: hier sitzen ja nicht die Profis, sondern die Breitensportler mit ihren teilweise besorgten oder sogar verärgerten Eltern. Die Kids spielen nach deren Empfinden viel zu viel bis exzessiv Computerspiele und denken jetzt auch noch über ein Studium in Gamedesign nach! Ich möge doch bitte in der Berufsberatung den Kindern diesen Schmarrn ausreden und ihnen seriöse Alternativen bieten.
Ganz grundsätzlich muss ich dazu sagen, dass eine meiner Maxime ist, Wünsche zwar zur Kenntnis zu nehmen und zu respektieren, aber sie haben keinerlei Einfluss auf meine Beratung. Andernfalls hätte ich meinen Beruf verfehlt. Ich würde niemals Eltern nach dem Mund reden oder mich bei Jugendlichen einschleimen. Das einzige, was für mich zählt, ist den Jugendlichen, die sich mir anvertrauen bzw. mir anvertraut werden, eine berufliche Perspektive zu bieten, die eine höchstmögliche Passgenauigkeit zu ihren Talenten, Fähigkeiten und Interessen hat.
Dazu möchte ich von einem Fall erzählen, der sich vor ein paar Jahren in meiner Beratung abgespielt hat und der mir gut in Erinnerung geblieben ist. Im Vorgespräch lernte ich Vater und Sohn kennen, der Vater ein knochentrockener Jurist, der Junge etwas zurückhaltend, aber sehr aufmerksam. Es war ein „normales“ Gespräch, keinerlei Hinweise auf Wünsche oder Besonderheiten. Nach dem Beratungstag mit dem Jungen war ich irritiert, weil für mich die Berufsrichtung sehr klar auf der Hand lag – und das war Gamedesign. Der Junge brachte alles mit, was es dafür brauchte, er spielte selber auch gern, hatte aber nie die Äußerung getätigt, dass er Gamedesign als Beruf in Erwägung gezogen hätte. Eine Woche später im Abschlussgespräch schlug ich dann auch tatsächlich Gamedesign – neben anderen Alternativen – vor und erntete ein versteinertes Gesicht vom Vater und ein sehr strahlendes vom Sohn. Es stellte sich heraus, dass es diese Diskussionen um die Berufswahl schon länger im Elternhaus gab und der Vater sich für seinen Filius etwas „seriöseres“ wünschte. Juristen schätzen in der Regel Zahlen, Daten, Fakten. Und die lieferte ich. Um es kurz zu machen: ich bekam einige Zeit später eine Mail vom Filius, dass er sich für Gamedesign entschieden hätte und seine Eltern hätten nur aufgrund meiner Beratung dem zugestimmt und würden ihn dabei unterstützen. Er hatte von Anfang an die Hoffnung gehabt, dass er seine Eltern durch die Beratung zum Umdenken bewegen könnte, aber für ihn allein wäre es nicht möglich gewesen. Er war super happy!
Tatsächlich war er kein Einzelfall, und alle, die diesen Weg gegangen sind, sind mit der Wahl ihres Studiums überaus glücklich. Dass die Studiengänge in diesem Bereich kein Zuckerschlecken sind, darüber waren sich alle vorher schon im Klaren, denn sie waren gut informiert. Nur die Eltern dachten immer, dass hier nichts Gescheites gelernt wird, sie sahen in ihren schlimmsten Träumen ungepflegte und ungewaschene Kinder vor sich mit Cola-Bechern um sich herum und Stapeln von Pizzapackungen. Welch ein Irrtum! Sowohl Studiengang als auch anschließendes Arbeitsleben ist komplett durchprofessionalisiert.
Das Studium bietet einige Hürden vorab, die genommen werden müssen. Wer nicht gerade Informatik im Gamedesign studiert, benötigt an allen Hochschulen mittlerweile eine künstlerische Mappe. Da die Studiengänge sehr unterschiedlich in ihrer Ausrichtung sind, sollte man sich vorab gut überlegen, an welcher der Hochschulen man das geboten bekommt, was man sucht, und dort dann klären, was diese an künstlerischem Nachweis sehen will. Es hat sich bewährt, etwa ein halbes Jahr zur Mappenvorbereitung einzuplanen (das gilt im Übrigen für alle künstlerischen oder kreativen Studiengänge, die eine Mappe erfordern). Die Konkurrenz schläft nicht, und es ist sinnvoller, mehr Zeit in eine Mappe zu investieren als abgelehnt zu werden und dadurch ein ganzes Jahr zu verlieren.
Nun gibt es aber auch Jugendliche, die viel und gern spielen, die in diesem Bereich später jedoch nicht, oder zumindest nicht kreativ arbeiten wollen. Wie sieht es hier mit der „Spielsucht“ aus?
Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass Ablehnung, Verbote oder andere „regulierende“ Maßnahmen überhaupt nicht zum Erfolg führen. Genauso könnten wir einen Junkie zu Hausarrest verdonnern! Er wird immer Mittel und Wege finden, an seine Droge zu kommen… Um nachvollziehen zu können, wie Kinder und Jugendliche sich in einer digitalen Spielwelt verlieren können, müssen wir verstehen, was diese Spielwelt den Kindern bietet. Wenn wir Eltern wollen, dass unsere Kinder weniger Computerspiele spielen, dann müssen wir Eltern uns verändern und nicht unsere Kinder mit Verboten belegen. Es gibt nämlich klare Auffälligkeiten, die Psychologen immer wieder bestätigen und die ich auch aus meiner Erfahrung heraus, sowohl privat als auch beruflich, erkennen kann. Dieses Phänomen tritt vor allem dann auf, wenn entweder beide Elternteile beruflich sehr erfolgreich sind oder nur einer (meist der Vater) und die Mutter den Haushalt, die Familie und was sonst noch managt. Diese Kinder sehen ihre Eltern auf einem hohen Sockel stehen, der ihnen selbst unerreichbar erscheint, und den Kindern mangelt es zusätzlich noch an der nötigen Aufmerksamkeit. Meist zählen hier andere Werte wie Erfolg, Geld verdienen (man will ja der Familie was bieten…), nach außen gut dastehen, alles geregelt und gemanagt bekommen. Liebe um seiner selbst willen wird hier wenig bis gar nicht gelebt, stattdessen gibt es Anerkennung. Aber die kann es ja nur für Leistung geben. Wir Eltern sollten ehrlich zu uns selber sein und unser Denken, Fühlen und Handeln natürlich grundsätzlich, aber besonders hier kritisch hinterfragen, denn wir wollen ja, dass sich etwas ändert. Da die Pubertät ohnehin schon ein schwieriger Zeitabschnitt ist, entsprechen die eigenen Kinder irgendwann nicht mehr so wirklich den Wünschen und Vorstellungen der Eltern. Dann flüchten sich die Jugendlichen dahin, wo sie sich verstanden fühlen, wo sie gemocht werden und Anerkennung bekommen. Und wo sie Erfolge haben – und zwar schnelle! Es lebe die Spielewelt!
In München gibt es eine wunderbare Therapeutin, die vor langer Zeit an der Schule meines Sohnes einen mitreißenden Vortrag gehalten hat über genau diese Problematik. Ich war damals dem Elternbeirat angeschlossen und saß unter den Zuhörern. Und zwar sehr aufmerksam, denn mein Sohn spielte wirklich exzessiv – bis zu 18 Stunden an einem Stück! (Nur dass Eltern mal eine Idee davon bekommen, was exzessiv bedeutet). Was mich an dieser Frau so faszinierte war ihre sehr pragmatische Art und die Tatsache, dass sie oft nicht mit den Jugendlichen arbeitete, sondern mit den Eltern. Das vereinfacht vieles. Es brauchte stets nur wenige Sitzungen, dann waren die Problematiken in der Regel überwunden.
Mein Sohn spielte nicht League of Legends (das gab es zu der Zeit noch nicht), sondern WoW (World of Warcraft). Das Spiel gibt es in Europa seit 2005 und hält seit 2009 den Guiness-Weltrekord für das beliebteste Multiplayer-Online-Rollenspiel und ist etwas kostenintensiv, wenn man alle Möglichkeiten ausschöpfen will. Etwa 2008 war mein Sohn unter den Top Hundert der Weltrangliste und bekam „unanständige“ Angebote. Ihm sind mehrere Tausend Euro monatlich geboten worden bei einem Wechsel ins Profi-Lager zuzüglich Preisgelder. Dafür hätte er aber die Schule abbrechen müssen. Für einen 16-jährigen, der leidenschaftlich spielt, ein äußerst lukratives Angebot.
Daraufhin führte ich zwei Gespräche mit dieser Therapeutin, die mich in ihrer Herangehensweise stark an Cesar Millan erinnerte, den Hundeflüsterer aus den USA. Unser Fall war schnell geklärt: ich musste mein Verhalten ändern, nicht mein Sohn! Ich war sehr neugierig, ob ihre Methoden auch in unserem Fall funktionierten, aber ja: das taten sie! Wenige Monate später entschied sich mein Sohn, auszusteigen. Bei allem Unwillen gegen die Schule hätte er vermutlich auch nicht abgebrochen, da er zum Glück über ausreichend Vernunft verfügt. Die Spielerei in WoW hat ihm jedoch vermutlich seinen sehr weltlichen Studienplatz eingebracht, denn er verfügte durch das internationale Spielen über Kompetenzen, die weit über seinem Altersdurchschnitt lagen und ihn beim Aufnahmeverfahren an der Hochschule im Assessment-Center retteten. Allgemeinwissen lässt sich recht schnell erlernen, aber die Führungskompetenzen eines Managers bereits im Alter von Zwanzig Jahren aufzuweisen, bringen eben nur ganz wenige Kandidaten mit.
Unsere eigene Geschichte soll zeigen, dass ich nicht im Elfenbeintürmchen sitze und klug daher rede, sondern aus eigener Erfahrung die Problematiken kenne, aber auch weiß, dass es schnelle Lösungen gibt. Doch selbst Eltern, die das Spielen ihrer Kinder als nicht so problematisch wahrnehmen, tun sich schwer mit dem Gedanken, dass sich ihr Sprössling beruflich mit dieser Thematik beschäftigen will und wünschen sich, ihr Kind möge doch etwas „Gängiges“ oder „Seriöses“ studieren. Zum Thema „seriös“ möchte ich an dieser Stelle einmal die Frage in den Raum stellen, was ein seriöser Studiengang oder ein seriöser Beruf überhaupt ist?
Ist Banker ein seriöser Beruf? Ist es seriös, Menschen etwas aufs Auge zu drücken, was für sie nicht geeignet ist, nur um Gewinne zu maximieren?
Ist Mediziner ein seriöser Beruf? Ist es seriös, dass Operationen durchgeführt werden, die der Patient nicht benötigt, nur um den OP auszulasten? Ist es überhaupt seriös, wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund zu stellen statt den Patienten?
Ist Anwalt ein seriöser Beruf? Ist es seriös, seinen Mandanten zu vertreten, obwohl man weiß, dass er eine Straftat begangen hat, und einen Freispruch zu erzielen?
Diese Liste ließe sich erheblich verlängern, aber es ist gar nicht notwendig, die Fragen überzustrapazieren, weil jedes Berufsbild so gut oder so schlecht, so seriös oder unseriös ist wie die Menschen, die dort arbeiten.
Mein Fazit: Gamedesign ist genauso sinnvoll oder sinnlos, genauso wertvoll oder wertlos und genauso seriös oder unseriös wie jeder andere Studiengang auch – er muss halt zum jeweiligen Interessenten passen. Aber im Gegensatz zum Bankwesen ist Gamedesign definitiv ein Beruf mit Zukunft!