Studiengänge im Check – Physician Assistant / Arztassistent

two doctors in hospitalAbiturienten mit der Note 1,1 und besser wird der Medizin-Studienplatz nachgeworfen, obwohl vielen dieser jungen Menschen die sozialen und emotionalen Kompetenzen fehlen, die es so dringend braucht beim Umgang mit Kranken und Verletzten. Anderen, die über diese Kompetenzen verfügen und einen einfühlsamen Umgang hätten, wird er oft verwehrt, weil sie zu „schlechte“ Noten haben. Für die letzte Gruppe klingt der Studiengang Physician Assistant oder Arztassistent, der zum Beispiel von der Hochschule Fresenius oder der DHBW, der dualen Hochschule Baden-Württemberg, neu ins Programm genommen worden ist, höchst verlockend. Was genau beinhaltet er und macht er Sinn?  

Der Studiengang hat keinen NC und reagiert laut Aussagen der Hochschulen auf die demografische Entwicklung und den Fachkräftemangel in deutschen Krankenhäusern. Das Studium Arztassistent oder Physician Assistant (PA) orientiert sich am Medizinstudium mit den Inhalten aus Vorklinik, Klinik und Famulatur, um eine hochwertige Entlastung der Ärzteschaft zu gewährleisten. Der PA ist damit eine Zwischenstation zwischen dem ärztlichen Dienst und dem Pflegepersonal und unterstützt beide Seiten. Seine Aufgabenbereiche befinden sich z.B. im Operationsdienst, in der Notfallambulanz und Intensivstation, in der stationären Patientenversorgung, in der Funktionsdiagnostik und der Dialyse, in Aufnahmestationen und Polikliniken.

Tätigkeitsfelder sind z.B. die Vorbereitung der Erstanamnese einschließlich der körperlichen Untersuchung, Ausarbeiten der Verdachtsdiagnose, eigenständige Vornahme kleiner Eingriffe, Assistenz bei Operationen, administrative Entlastung der Ärzte, medizinische Dokumentation und Unterstützung der Patientenberatung. Die letzte Verantwortung in der Patientenbehandlung bleibt allerdings beim Arzt.

Die Argumente (der Hochschulen) für diesen Studiengang und dieses Berufsbild lauten, dass

  1. dadurch im deutschen Gesundheitswesen neues, zusätzliches Fachpersonal gewonnen werden kann. Da in den USA und in Großbritannien das Berufsbild bereits etabliert ist, bieten sich aus deren Sicht beste Berufsaussichten auch über Ländergrenzen hinweg und auch im Inland neue, anspruchsvolle Berufsmöglichkeiten.
  2. aus ökonomischer Sicht eine“ enorme Zukunftsrelevanz“ gegeben sei, um „finanzielle und zeitliche Ressourcen in den Krankenhäusern effektiver einzusetzen.“
  3. aus gesellschaftlicher Sicht dieses Berufsfeld „eine praxisnahe und lösungsorientierte Antwort auf den ansteigenden Fachkräftemangel sei und eine Möglichkeit, dem Versorgungsauftrag auch in Zukunft in qualitativ hohem Maße nachzukommen“.

Die Hochschulen sehen, dass der Fachkräftemangel zu einer angespannten Personalsituation führt und die Patientenversorgung gefährdet ist, sodass es eines Wandels des gesamten Gesundheitswesens bedarf. Letzterem kann ich nur uneingeschränkt zustimmen, allerdings halte ich die Wahl der Mittel für völlig falsch.

Diese Lösung passt für mich zur „klassischen“ Schulmedizin, die nicht die Ursachen angeht, sondern lediglich Symptome bekämpft.

1. Dass wir in Deutschland zusätzliches Fachpersonal benötigen, ist unstrittig. Hier muss man sich aber auch ehrlich fragen, warum das so ist. Und die demografische Entwicklung ist zumindest im Gesundheitswesen wahrlich nicht der einzige Grund!

Es gibt viele Menschen, die sich vorstellen könnten, als Pflegekraft zu arbeiten, aber immer weniger sind bereit, sich für wenig Ansehen und noch weniger Geld derart verheizen zu lassen! Und diejenigen, die mit viel Elan beginnen, werden schnell demotiviert und auf den Boden der Tatsachen zurückgeworfen.

Der Hinweis auf Großbritannien und die USA hinkt nun völlig. Hier werden nicht einmal Äpfel mit Birnen verglichen (beides wäre immerhin noch Obst), sondern Äpfel mit Nudeln! Das exzellente Ausbildungssystem in Deutschland ist einzigartig auf der Welt und einer der Hauptgründe, warum es Deutschland wirtschaftlich im Vergleich zu anderen Ländern so hervorragend geht. Da dieses Ausbildungssystem in anderen Staaten nicht existiert, bleibt den Menschen dort nur die Wahl zwischen „ungelernter Arbeitskraft“ oder einem Studium, was dazu führt, dass in den USA die dortige Krankenschwester sogar an einer Hochschule studieren muss, um dann den Bachelor- Abschluss „Registered Nurse“ zu erwerben.

Der ständige Schrei einiger weniger nach einer weiteren Akademisierung bestimmter Berufsfelder mit Hinweis auf andere Staaten ist in den meisten Fällen komplett überflüssig weil oberflächlich und nicht durchdacht.

Hinzu kommt, dass die meisten Deutschen auch eher mal in Deutschland arbeiten wollen. Bei denen also mit hervorragenden Aussichten in den USA und in Großbritannien zu winken, ist daher Augenwischerei, weil es für diese Gruppe nicht von Interesse ist, was im anglo-amerikanischen Ausland los ist. Und die wenigen anderen, die ihr Heil in den USA oder woanders suchen, können ja auch gleich dort studieren, was den Vorteil hat, dass sie sich nicht aufwändig ihr hier Erlerntes dort anerkennen lassen und Prüfungen absolvieren müssen. Die Hochschulen dort kosten zwar nicht unerheblich Geld, aber die Fresenius z.B. bietet den Studiengang ja auch nicht umsonst an, sondern verlangt dafür 575 Euro jeden Monat. Bei 8 Semestern Regelstudienzeit sind das auch immerhin knapp 28.000 Euro.

2. Aus ökonomischer Sicht macht dieser Studiengang erst Recht keinen Sinn. Es ist kein Geheimnis, wenn ich sage, dass in unserem Gesundheitssystem nicht der Patient im Vordergrund steht, sondern immer nur wirtschaftliche Interessen. Aus diesem Grund wird auch in Kliniken gespart, wo es nur geht! Das führt zum einen zu teilweise katastropalen hygienischen Zuständen – mit der Folge, an resistenten Keimen im Krankenhaus sogar zu sterben, und zum anderen auch zu akutem Personalmangel, denn die Personalkostenschraube ist für viele Unternehmen immer noch das probateste Mittel.

In dieser Denk- und Handlungsstruktur des Wirtschaftsapparates Klinik mit Berufsfeldern aufzuwarten, die im Personalbudget noch mehr zu Buche schlagen als das bisherige Pflegepersonal, halte ich für höchst problematisch. Wir benötigen in erster Linie mehr Pflegepersonal, das eventuell mit entsprechenden Weiterbildungen auch andere Aufgaben übernehmen kann, aber wir benötigen nicht mehr und teurere Kräfte bzw. werden die Klinken das nicht bezahlen. Es gibt überhaupt keine Tarifverträge für eine derartige Berufsgruppe, und aus meiner Sicht werden die Gewerkschaften hier Sturm laufen. Und dass ein Studierter sich mit dem gleichen mickrigen Gehalt wie das Pflegepersonal zufrieden geben wird, halte ich für höchst unwahrscheinlich!

Zu all diesen Gegen-Argumenten kommt noch ein wichtiger Aspekt hinzu. Nicht wenige, denen ein direkter Studienplatz in Medizin nicht möglich ist aufgrund Ihres Abitur-Schnitts, entscheiden sich für eine Ausbildung zum Rettungsassistenten oder Krankenpfleger / -schwester. Diese Ausbildung wird dann als Wartezeit angerechnet, so dass ein Studium in Deutschland an einer staatlichen Universität zu einem späteren Zeitpunkt möglich wird.

Ein Bachelor-Studium wird jedoch als Wartezeit nicht angerechnet. Wer also glaubt, er hat mit diesem Studiengang der herkömmlichen Praxis ein Schnippchen geschlagen, wird meines Erachtens bitter enttäuscht!

Nach Angaben der HS Fresenius wurde vor der Einführung des Studiengangs Physician Assistance eine Studie durchgeführt, die „die Akzeptanz neuer Gesundheitsberufe und des Physician Assistance in deutschen Krankenhäusern untersuchte, auch unter Berücksichtigung der medizinischen und kaufmännischen Aspekte“. Ihr Ergebnis:

„Durch den Einsatz dieser Fachkräfte könnten sowohl die Effizienz als auch die Qualität der Patientenversorgung gesteigert werden.“

Interessant wäre hier zu wissen, wer genau befragt wurde und wie genau die Fragen ausgestaltet waren. Denn es macht einen Unterschied, ob ich Pflegekräfte, Patienten, Ärzte, Klinik-Geschäftsführer oder Gewerkschafter befrage, und ob ich Fragen stelle, die darauf abzielen, dass ein neuer Studiengang eingeführt werden kann oder ob wirklich beleuchtet wird, wie realistisch die anschließenden Berufsaussichten sind. Dass durch den Einsatz von mehr Fachkräften die Qualität der Patientenversorgung gesteigert wird, ist völlig unstrittig! Aber bezahlen will das keiner!!

Mein persönliches Fazit in meiner Funktion als Berufsberaterin: Erst mal Finger weg von diesem Studiengang!

Bildanchweis: © Syda Productions – Fotolia.com

 

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