Auf die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt gibt es keine allgemeingültige Antwort – außer: Das ist individuell verschieden. Zunächst würde ich es vom Schulabschluss abhängig machen, denn der Zeitpunkt für Realschüler ist ein anderer als für Abiturienten.
Realschüler: Da nicht klar ist, ob der Schüler nach der 10. Klasse auf eine weiterführende Schule geht (Gymnasium, FOS o.ä.), oder ob er mit Ende der 10. Klasse mit einem Realschulabschluss abgeht, um eine Ausbildung zu absolvieren, ist ein guter Zeitpunkt der Beginn der 10. Klasse. Die Betriebe starten nämlich in der Regel bereits ein Jahr vor dem Beginn der Ausbildung mit der Auswahl der Azubis. So bleibt nach einer Berufsberatung genügend Zeit für den Entscheidungsprozess und für die Zusammenstellung einer sehr guten Bewerbungsmappe.
Wenn feststeht, dass es schulisch weitergeht, dann sollte die Beratung später stattfinden, da mit zunehmendem Alter der Jugendlichen die Ergebnisse in der Beratung noch konkreter ermittelt werden können. Hier wäre ein guter Zeitpunkt etwa ein Jahr vor dem Schulabschluss. Einzige Ausnahme: Wenn die Entscheidung für die FOS feststeht, aber noch unklar ist, welcher Zweig (Technik, Wirtschaft, Soziales, Gestaltung) der passende ist, dann macht die Beratung ebenfalls vorher Sinn, nämlich vor den Bewerbungsfristen der Fachoberschulen, denn diese Entscheidung sollte wohlüberlegt sein. Für die Hauptschüler gilt das natürlich entsprechend.
Bei den Abiturienten liegt der Fall etwas anders. Da man berücksichtigen muss, dass Firmen für Ausbildungsberufe mit dem Bewerbungsverfahren in den meisten Fällen bereits ein Jahr vor Ausbildungsbeginn starten, tut man gut daran, rechtzeitig vor dem Abitur eine Berufsberatung zu durchlaufen.
In Anbetracht der Tatsache, dass nach der Einführung des G8 die Jugendlichen ein Jahr jünger sind, wenn sie die Schule verlassen, fehlt ihnen ein ganzes Jahr für ihren Reifeprozess. Bei den Jungs sind es seit dem Wegfall der Wehrpflicht sogar zwei Jahre. Viele meiner Kunden sind erst 18 Jahre alt, wenn sie das Abi in der Tasche haben, nicht wenige erst 17. Direkt nach dem Abitur in ein Studium zu starten, halte ich in diesen Fällen für unklug und eher verantwortungslos. Was sich hier anbietet, ist eine Ausbildung vor einem Studium abzuschließen – was eine Menge Vorteile mit sich bringt. Alternativ können die Abiturienten auch ein freiwilliges soziales/ökologisches Jahr absolvieren oder für längere Zeit (ein halbes oder ein ganzes Jahr) ins Ausland gehen (was Personaler sehr gern sehen!) und die Zeit sinnvoll nutzen.
Sowohl die Firmen als auch die Organisationen, die soziale/ökologische Projekte oder Auslandsaufenthalte vermitteln, sind jedoch sehr zeitig mit dem Auswahlprozess beschäftigt, sodass die Berufsberatung ein Jahr vor dem Abitur stattfinden sollte. Wer sich schon selbst um einen Auslandsaufenthalt gekümmert und alles in trockenen Tüchern hat, kommt am besten gleich nach dem Abi in die Beratung, um mit den konkreten Ergebnissen im Koffer in Ruhe eine Entscheidung zu treffen.
Allerdings haben wir in unserer Beratung die Erfahrung gemacht, dass nicht so viele Schüler ohne eine berufliche Perspektive die notwendige Motivation zum Lernen aufbringen. Den meisten jungen Menschen fällt das Lernen leichter, wenn sie wissen, wofür sie es tun. Auch das kann ein Grund dafür sein, rechtzeitig vor dem Abi zu uns zu kommen.
Und: Eine Berufsberatung kann auch die Angst und den Druck vor dem Abitur nehmen, wenn man sieht, dass es auch genügend passende Studiengänge gibt, die beispielsweise keiner Zulassungsbeschränkung unterliegen.