Die Karrierebibel hat zur Blogparade zum Thema Ausbildung aufgerufen. Und die Frage, ob sich Ausbildung noch lohnt, begegnet auch mir in meinen Berufsberatungen regelmäßig. Daher beteilige ich mich im Rahmen meines Karriere-Blogs gern an dieser #Blogparade. Als Berufsberaterin habe ich nämlich in den letzten Jahren eine recht klare Sicht in Sachen Ausbildung bekommen.
Immer mehr Firmen haben immer größere Schwierigkeiten, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen. Das mag etwas überraschen, hat doch die Anzahl der staatlich anerkannten Ausbildungsberufe insgesamt deutlich abgenommen. Während es 1971 noch 606 gab, sind es heute nur noch 344. Zudem jammern viele Jugendliche, dass sie keinen Ausbildungsplatz finden. Wo also ist der Sand im Getriebe?
Zunächst einmal ist in unserer Gesellschaft ein Phänomen zu beobachten, das wir auch von der Verteilung des Geldes kennen: Es gibt drei große Gruppen – die Reichen, die Armen und die große Mittelschicht. Diese Mittelschicht bricht immer mehr auseinander und verteilt sich auf die anderen beiden Gruppen. So ungefähr müssen wir uns die Situation im Bildungsbereich vorstellen.
Es gibt immer mehr Abiturienten, von denen immer mehr studieren, und selbst Realschüler entdecken verstärkt ihr Potenzial und versuchen, z.B. über die Fachoberschulen, weiterzukommen. Der Rest von ihnen landet tatsächlich in Ausbildungsberufen. Und dann gibt es noch das große Sammelbecken der Hauptschüler, das sich vor allem in größeren Städten vielfach aus Migranten zusammensetzt, die aus verschiedenen Gründen ihrer Chancen enthoben sind.
Die Gründe, auf Seiten der jungen Leute, sich gegen eine Ausbildung zu entscheiden, sind vielfältig
1. Die Zahl der Akademiker hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zugenommen. In diesen Familien wiederum ist es – nicht immer, aber doch sehr häufig – eher Usus, dass der Nachwuchs ebenfalls Abitur macht und studiert. Hier wird der Leistungsgedanke weiter gelebt.
2. In der Presse gibt es immer wieder Artikel, die die Einkommensunterschiede und auch die Wahrscheinlichkeit der Arbeitslosigkeit von Akademikern und Nichtakademikern gegenüberstellen. Wer will schon gern zu den Verlierern zählen?
3. Wer sich 12 oder 13 Jahre (mit Ehrenrunden noch länger) durch die Schule gequält hat, hat nach dem Abitur oftmals die Einstellung, dass er das nicht getan hat, um anschließend „nur“ eine Lehre zu absolvieren. Denn dann hätte er ja auch Realschule machen können.
4. Der gesellschaftliche Druck unter den Jugendlichen selbst ist groß. Wer in einer Clique oder in einer Gemeinschaft ist, die ehrgeizig ihre Ziele verfolgt, wird ohne das nötige Selbstbewusstsein leicht zum Außenseiter, wenn er sich (zunächst) gegen ein Studium und stattdessen für eine Ausbildung entscheidet.
5. Das Wissen um den Wert einer Ausbildung ist bei den Jugendlichen nur rudimentär vorhanden. Und der Anspruch innerhalb einer Ausbildung wird vielfach unterschätzt, sodass viele Jugendliche meinen, sie seien dort intellektuell unterfordert.
6. Viele Jugendliche kennen spannende und anspruchsvolle Ausbildungsberufe gar nicht, sondern wissen nur um die „einfachen“, die für sie nicht in Frage kommen.
7. Viele Jugendliche und auch viele Eltern wissen nicht einmal ansatzweise, wie sie Ausbildungsplätze finden können. Die meisten kommen nicht einmal darauf, im Internet bei der IHK Stellenbörse oder auf dem Jobcenter der Arbeitsagentur nachzuschauen.
8. Viele Jugendliche haben Angst vor Bewerbungsverfahren und ziehen dann ein Studium vor, das keine Zulassungsbeschränkung hat und wo sie sich nicht in Bewerbungsverfahren anstrengen müssen.
Aber auch auf Seiten der Firmen gibt es vielfältige Gründe, weshalb sie nicht genügend Azubis finden.
Wir leben im Technologiezeitalter und benötigen immer mehr Menschen, die den intellektuellen Ansprüchen, die bestimmte Berufe stellen, gewachsen sind. Realschüler können in vielen Fällen diese Anforderungen nicht mehr erfüllen. Gerade mal 16 Jahre alt, haben diese jungen Leute nicht einmal das Erwachsenenalter erreicht, stattdessen vielfach eher Flausen im Kopf und ihre eigenen Probleme, die die Pubertät mit sich bringt. Zusätzlich fehlen ihnen einfach zwei bis drei Jahre an Bildung im Vergleich zu den Abiturienten.
Das führt zu folgender Situation: Wenn man die Aufteilung der einzelnen Ausbildungsberufe auf Abiturienten, Realschüler und Hauptschüler aus den Jahren 2006 und 2011 gegenüberstellt, so hat die Zahl der eingestellten Abiturienten überdeutlich zugenommen. Auf der Strecke bleiben hier die Haupt- und Realschüler, die immer weniger Chancen haben. Das gilt allerdings nicht für die richtig „miesen“ Jobs. Hier hat die Zahl der Hauptschüler stark zugenommen.
Diese beiden Entwicklungen – immer mehr Studierwillige einerseits und der Bedarf der Firmen an Abiturienten andererseits – laufen gegeneinander und verschärfen das momentane Problem. Die Folgen werden von Statistiken belegt: Fast 27 Prozent der Stellen im Branchenfeld Industrie und Technik blieben im Sommer 2014 unbesetzt.
Es gibt hier etliche Lösungsmöglichkeiten, von denen keine die einzig wahre ist, sondern es müssten gleichzeitig verschiedene Stellschrauben gedreht werden.
1. Die öffentliche Wahrnehmung von dualen Ausbildungsberufen muss viel positiver werden. Das ist allerdings keine einfache Aufgabe. Am sinnvollsten ist es, die Schüler selbst zu erreichen, was am ehesten über die Schulen praktikabel ist. Diese Möglichkeit wird von Firmen mehr und mehr wahrgenommen, aber erstens noch viel zu wenig, zweitens unterliegen gerade in den Gymnasien die Lehrer einem gewissen Standesdünkel oder aber der Erwartungshaltung der Eltern, dass der Nachwuchs bitteschön seine Chancen nutzt. Als ob das nur mit einem Studium ginge!
2. Private Berufsberatungen können ein Übriges dazu tun. Ich habe schon etliche Studienabbrecher erlebt, die mit ihrem Studium überfordert waren (meist waren das technische Fächer) und denen ich die passende Ausbildung empfohlen habe. Wer dann die Weiterbildungsmöglichkeiten der Firmen nutzt und vielleicht auch noch den Techniker später anhängt, muss sich vor den Ingenieuren nicht verstecken, auch nicht beim Gehalt.
Aber auch in anderen Fällen kann eine Ausbildung sinnvoll sein, im Übrigen auch sehr häufig als Grundlage oder Vorbereitung für das anschließende Studium. Dazu bedarf es allerdings Beratern mit tiefen Kenntnissen sowohl der Ausbildungs- als auch der Studienlandschaft.
3. Das Bildungsgefälle zwischen den Anforderungen der Firmen und dem tatsächlichen Können der Real- und vor allem der Hauptschüler ist viel zu groß. Das gilt es, wenn auch nicht zu schließen, doch immerhin zu verringern. Gelingen wird das nur durch eine Veränderung unserer Schullandschaft. Einige Schulen in Deutschland sind hier bereits innovativ und außerordentlich erfolgreich, aber es sind noch viel zu wenige.
Hilfreich wären hier beispielsweise schulische Strukturen, in denen zwar Jungs und Mädchen gemischt sind, aber in den heiklen Fächern wie Mathe, Physik und Chemie nach Geschlechtern getrennt unterrichtet werden. Es fällt nämlich auf, dass Mädchen, die sich in diesen Fächern leichter tun, oft von reinen Mädchenschulen kommen.
Eine weitere Möglichkeit sind Patenschaften. Es gibt Studierende, die sich um benachteiligte Jugendliche kümmern, ihnen Nachhilfe erteilen und als Mentoren fungieren. Das sollte weiter ausgebaut werden. Hilfreich könnten hier auch die Senioren sein, die in ihrer Zahl immer mehr zunehmen und ohnehin über ausreichend Zeit verfügen. Insbesondere die Migranten benötigen dringend unsere Hilfe und viele sind sehr dankbar. Statt Ausgrenzung könnten wir hier zur Abwechslung mal Integration leben und mit gutem Beispiel vorangehen.
Wir werden nie jeden Menschen erreichen können, aber jeder einzelne, dem geholfen werden kann, ist eine wertvolle Stütze für die Gesellschaft und unsere Wirtschaft.
Auch die Unternehmen sind in Sachen Bildung gefordert. Vorstellbar ist beispielsweise eine Art vereinfachtes Propädeutikum, wie es manche Universitäten anbieten, um Abiturienten überhaupt in einen studierfähigen Zustand zu bringen. Die Unternehmen könnten beispielsweise die Skills, die besonders notwendig für die Ausbildung sind, den willigen Auszubildenden zusätzlich beibringen. Wer jetzt fragt, wie das denn gehen solle, dem antworte ich: Wer will, findet Lösungen, wer nicht will, findet Ausreden.
4. Die Firmen müssen attraktiver werden – nicht nur für Hochschulabsolventen, sondern auch für Auszubildende und die späteren Berufstätigen. Das beginnt schon mit einem wertschätzenden Umgang mit Bewerbern. Hier kommt meine Wunschliste, stellvertretend für viele Bewerber da draußen, die arbeiten wollen, sich aber häufig missachtet fühlen:
– ich wünsche mir nach dem Eingang einer Bewerbung eine zügige Antwort innerhalb von spätestens zwei Wochen, und zwar nicht nur eine standardisierte, dass die Bewerbung eingegangen. Denn dann liegt das Zeug erfahrungsgemäß eine ganze Weile herum und nichts passiert, während den Bewerbern die Zeit weg läuft.
– ich wünsche mir einen wertschätzenden, neugierigen und interessierten Personaler / Entscheider, der gut vorbereitet in das Bewerbungsgespräch geht. Mangelnde Zeit ist kein Argument, denn manche Personaler sind einfach so schlecht, dass es sogar die Sekretärin besser gemacht hätte.
– ich wünsche mir eine ehrliche Antwort auf die Frage, warum der Bewerber nicht genommen worden ist. Pauschale Kommentare wie „wir haben uns für jemanden anderen entschieden, der etwas besser passte vom Profil“, sind Unehrlichkeit und Ignoranz gegenüber dem Bewerber. Denn das Unternehmen hatte handfeste Gründe, warum der Bewerber nicht genommen wurde, und es ist für mich ein Gebot der Fairness, es dem anderen auch mitzuteilen. Wie soll sich der Abgelehnte denn selbst reflektieren, wenn ihm wahre Gründe verschleiert werden? Außerdem nimmt man ihm so die Chance, etwas zu verändern. Ehrlichkeit kann manchmal für beide Seiten schmerzhaft sein, aber sie ist hier auch ein Zeichen von Reife und Charakter.
– ich wünsche mir unbefristete Arbeitsverträge, denn die Zunahme von befristeten Arbeitsverträgen schürt Ängste und Unsicherheiten und vergiftet das gesellschaftliche Klima. Wer möchte schon in einem Ausbildungsbetrieb beginnen, von dem er weiß, dass er anschließend übernommen wird, aber nur befristet. Was soll das? Derjenige wurde zwischen zweieinhalb und dreieinhalb Jahren hinreichend auf Herz und Nieren geprüft. Danach befristete Arbeitsverträge anzubieten zeugt entweder von einem schlechten Charakter des Unternehmens oder ist das Eingeständnis der eigenen Inkompetenz.
Liebe Arbeitgeber: Präsentiert Euch attraktiv und haltet, was Ihr nach außen vorgebt zu sein. Das wäre schon mal ein guter Anfang. Ich weiß, dass das bereits auf viele Unternehmen zutrifft, aber auf viele andere eben auch nicht. Die leben und arbeiten noch immer im Dunst der Vergangenheit, in der alles geklappt hat, ohne dass man sich anstrengen musste und wundern sich nun ernsthaft, dass viele – vor allem gute (!) Kräfte fehlen.
Es gibt noch viel zu tun für die Unternehmen!