In meinen Beratungen begegne ich immer wieder Vorurteilen hinsichtlich Ausbildungsberufen. Dahinter steckt ein leicht herablassendes Gedankengut nach dem Motto „Ich habe doch nicht Abitur gemacht, um anschließend eine Lehre zu absolvieren“. Mal ganz abgesehen davon, dass es viele Ausbildungsberufe gibt, die Realschülern und Hauptschülern verwehrt sind, muss es bei einer Ausbildung nicht bleiben, denn sie kann auch eine wunderbare Grundlage für ein anschließendes Studium sein.
Zunächst einmal liegt es an jedem selbst, was er mit sich anfängt und aus seinem Leben macht. Ein herausragendes Beispiel dafür, was man mit einer Schreinerlehre anfangen kann, ist für mich Willi Bruckbauer. Ihn kennen die meisten Menschen nicht, aber er ist mein Retter in der Küche und wird in vielen Haushalten noch einen Siegeszug antreten. Warum?
Ich rege mich seit über drei Jahrzehnten über Dunstabzugshauben auf. Sie funktionieren nie wirklich gut, egal wie teuer sie sind, sie sind laut, hängen ständig beim Kochen vorm Gesicht herum, man stößt sich immer wieder den Kopf, die Reinigung ist eher zweifelhaft und sie sehen nie wirklich sauber und hygienisch aus. Jedenfalls dann nicht, wenn man seine Küche nicht nur zum auftauen von Pizza verwendet…
Will man nun eine offene Küche planen, wird es mit der Dunstabzugshaube richtig problematisch. Die Leistungsstärke hängt von der Größe der Küche ab, nur: man hat keine Küche mehr, sondern einen riesigen, offenen Raum. Egal, was einem die „Küchenberater“ der großen Möbelhäuser erzählen – man kommt um einen Industrieabzug nicht herum, wenn man einen leicht öligen Film auf seinen Möbeln auf Dauer vermeiden will. Der sieht aber nicht attraktiv aus, ist sauteuer und laut.
Und hier kommt Willi Bruckbauer ins Spiel, ein Schreiner aus der Nähe von Rosenheim, der sich wie ich und viele andere über Dunstabzugshauben geärgert hat. Über Jahre tüftelte er an einem anderen System und hat BORA auf den Markt gebracht, einen Abzug, der sich im Kochfeld befindet. 2006 kam das erste Kochfeld auf den Markt, und seit 2009 wird das Unternehmen mit Preisen überschüttet.
Erfolgsgeschichten wie die von Willi Bruckbauer gibt es häufig, wir wissen nur oft nicht, wer hinter den Innovationen steckt. Aber es zeigt, dass auch eine Schreinerlehre der Anfang einer sensationellen, internationalen Karriere sein kann!
Es gibt auch viele Studiengänge, vor denen eine Ausbildung absolut Sinn macht. Das kann eine Ausbildung zum Modisten sein, an die sich ein Studium Textildesign anschließt, das kann eine Ausbildung zum Industriekaufmann sein, die vor allem dann Sinn macht, wenn man anschließend unbedingt BWL an einer Uni studieren will. Und es kann nicht nur, sondern sollte sogar eine technische Ausbildung sein, wenn man Maschinenbau oder andere technische Ingenieursberufe studieren möchte. Das gilt insbesondere für die Studienanfänger in Bayern. Warum?
Ganz einfach: weil mit der Abschaffung des G9 in Bayern, im Gegensatz zu anderen Bundesländern, zugleich die Leistungskurse abgeschafft wurden. Eine fatale Entscheidung, wie sich deutlich abzeichnet. Die bayrischen Abiturienten sind damit auf einem deutlich niedrigeren Niveau als Abiturienten aus anderen Bundesländern, und nur noch wenige packen die hohen mathematischen und technischen Herausforderungen im Studium.
Selbst wer sich durchkämpft, hat hier mit dem Phänomen zu tun, dass er ein „Alien“ unter seinen Kommilitonen ist, denn die meisten sind deutlich älter! Die waren so schlau, erst eine Lehre zu absolvieren, sich noch etwas Praxiserfahrung zu holen und dann äußerst motiviert und mit viel mehr Kenntnissen als ein bayrischer Abiturient ins Studium zu gehen. Die hohen Abbrecher-Quoten lassen grüßen!
Es muss aber auch nicht immer gleich eine „Spitzenkarriere“ sein, die angestrebt wird. Wenn ich meine Kunden frage, was Ihnen im Berufsleben am wichtigsten ist, ähneln sich die Antworten sehr stark. Spaß haben ist wichtig und so viel Geld verdienen, dass man davon eine Familie ernähren und sich ein bisschen was leisten kann. Aber wer sagt denn, dass man dazu studieren muss?
Ich kenne viele Menschen, die nicht nur einen akademischen Abschluss, sondern sogar promoviert haben und von Hartz 4 leben müssen, weil sie für den Arbeitsmarkt uninteressant sind. Und ich kenne sehr viele Menschen, die ein hohes gesellschaftliches Ansehen haben und recht wohlhabend sind, die nie eine Hochschule von innen gesehen haben. Diese Menschen haben sich für einen Handwerksberuf entschieden und üben ihren Beruf mit Können, Liebe und Leidenschaft aus und haben sich bei ihren Kunden einen Namen gemacht, weil sie sehr zuverlässig und Könner auf ihrem Gebiet sind. Neben dem Pfusch, der von schlecht ausgebildeten Handwerkern kommt, sind diese deutschen Meister-Handwerksbetriebe ein wahrer Segen.
Und noch ein Aspekt sollte nicht übersehen werden: das deutsche duale Ausbildungssystem (Ausbildung in einem Betrieb + Berufsschule) erfährt weltweit eine erhebliche Aufmerksamkeit, weil es Deutschland dahin gebracht hat, wo es heute steht – ein Land mit einem extrem gut gestellten Mittelstand, der die Wirtschaft ankurbelt. Dieses Ausbildungssystem führt dazu, dass wir in Deutschland, zusammen mit Österreich und Dänemark, die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit haben. Großbritannien mit einer doppelt so hohen Akademikerquote wie Deutschland und einer Studienanfängerquote von 64 Prozent hat eine doppelt so hohe Jugendarbeitslosigkeit wie Deutschland. Dazu gibt es hier einen wunderbaren Artikel, der uns alle aufrütteln sollte.
Es gibt also keinen Grund, immer nur an die Unis zu streben und auf alle anderen herabzusehen, weil man selbst etwas „Besseres“ darstellen will. Heutzutage zählt mehr und mehr Persönlichkeit, und die ist keine Frage des Studiums, sondern eine Frage der Charakterbildung. Wer anderer Meinung ist, darf sich gerne mal in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft umschauen, in denen derzeit reihenweise die Vorstände geschasst werden.
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