Was ist ein duales Studium? Gibt es Unterschiede? Was ist anders als beim normalen Studium? Wird man hinterher auch übernommen? Ist das überhaupt sinnvoll? Diese Fragen stellen sich meine Kunden immer wieder. Gerade beim Thema duales Studium treffen viele falsche Vorstellungen und jede Menge Unwissen aufeinander. Hier kommen nun Zahlen, Daten, Fakten und meine persönliche Empfehlung zu diesem Thema. UND: Es ist ein Brandbrief gegen diese Form der Ausbildung!
Ein duales Studium verbindet immer ein Studium entweder mit einer Berufsausbildung (ausbildungsintegrierend) oder mit Praxisphasen (praxisintegrierend) in einem Unternehmen. Während man beim ausbildungsintegrierenden dualen Studium einen Ausbildungsabschluss und einen Bachelorabschluss erhält, gibt es beim praxisintegrierenden dualen Studium „nur“ einen Bachelorabschluss. Das Angebot an dualen Studiengängen hat in der Vergangenheit stark zugenommen, und mittlerweile gibt es über 1.000 Studiengänge, die in der Datenbank des Bundesinstituts für Berufsbildung verzeichnet werden – die meisten übrigens in Baden-Württemberg. Duale Studiengänge gibt es vor allem in den Wirtschaftsfächern und in den Ingenieurswissenschaften, aber auch andere Bereiche bieten mittlerweile duale Studiengänge an. In einschlägigen Datenbanken lässt sich nach der gewünschten Studienrichtung suchen.
Die Unterschiede sind groß, und man tut gut daran, die einzelnen Angebote genauestens unter die Lupe zu nehmen, da der Begriff „duales Studium“ nicht geschützt ist. Vor allem ist darauf zu achten, dass der Studiengang akkreditiert ist und ein akademischer Grad verliehen wird. Auch sollte der Praxisanteil mindestens ein Jahr betragen.
Die Bewerbung erfolgt nicht an der Hochschule oder den Akademien, sondern bei den Unternehmen direkt. Man durchläuft also ein richtiges Bewerbungsverfahren, wie bei jeder anderen Bewerbung in den Unternehmen auch. Die Bewerbungsverfahren sind knackig, und die Firmen können sich aus einer Vielzahl von Bewerbern ihre zukünftigen Mitarbeiter aussuchen. Nicht selten gibt es zwanzigmal so viele Bewerber wie Stellen. Die Bewerbungsverfahren starten etwa ein Jahr vor Beginn des Studiums, und in der Regel wird ein sehr gutes Abitur erwartet.
Vorteile des dualen Studiums
- Man bekommt in der Regel eine Ausbildungsvergütung. Studiert man an staatlichen Hochschulen, füllt das das Portemonnaie, studiert man an privaten Hochschulen, werden die Kosten für das Studium meist von den Firmen übernommen bzw. mit dem Ausbildungsgehalt verrechnet.
- In relativer kurzer Zeit lassen sich eine Ausbildung und ein Studium absolvieren.
- Die Chance, nach Abschluss von den Firmen übernommen zu werden, ist relativ groß. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer schätzt, dass zwischen 80 und 90 Prozent der dualen Studenten beim Ausbildungsbetrieb bleiben.
Keine Rose ohne Dornen: Das duale Studium hat erhebliche Nachteile
- Wer in dreieinhalb Jahren, so lange wie heute ein Bachelor-Studium durchschnittlich dauert, Ausbildung und Studium gleichzeitig absolviert, muss sich darüber im Klaren sein, dass er weder ein „Studentenleben“ noch irgendeine Form von Freizeit hat, sondern Stress pur. Es bleibt immer irgendetwas auf der Strecke: die Freunde, der Partner und meist man selbst.
- Es gibt keine Semesterferien, sondern lediglich den üblichen Urlaub aller Angestellten des Unternehmens, also meist nur 24 bis 30 Tage im gesamten Jahr, die dann auch noch mit Lernen gefüllt sind.
- Die Stundenpläne an den Hochschulen sind eng und straff, da sie an den Vorgaben der Unternehmen ausgerichtet sind. Es gibt keinen Spielraum, sich in andere Vorlesungen zu setzen, irgendwo hineinzuschnuppern oder etwas auszuprobieren.
- Die Leistungsnachweise aus dem Studium müssen dem Ausbildungsleiter vorgelegt werden – Durchhänger kann sich da niemand leisten.
- Während die Personaler der Unternehmen die Bewerber durch die Mangel drehen, um die „Richtigen“ zu finden, kaufen die Studenten eher mal „die Katze im Sack“. Etwas geblendet von einer Vergütung für die Studienzeit und der in Aussicht gestellten anschließenden Übernahme, ist die Gefahr groß, nicht richtig hinzuschauen. Wer dann feststellt, dass die Firma nun doch nicht das Gelbe vom Ei ist, hat ein Problem. Während ein Azubi seinen Ausbildungsvertrag kündigen und zu einem anderen Unternehmen wechseln kann, verpflichten sich hier die jungen Leute für die gesamte Ausbildung und oftmals noch für eine bestimmte Zeit danach. Viele Verträge enthalten auch noch eine Klausel, dass man im Fall der Kündigung die Kosten für den theoretischen Teil des Studiums zurückzahlen muss. Die harte Auswahl der Personaler und diese Form der Verträge sorgen zwar dafür, dass die Abbrecherquoten bei den dualen Studiengängen geringer sind als bei den klassischen Bachelor-Studiengängen, ob die Studenten aber glücklicher und zufriedener sind, sei mal dahin gestellt.
- Die Übernahme direkt nach dem Studium entpuppt sich nicht selten als Nachteil für den Studenten, weil er genau diese Übernahme verspielt, wenn er nach dem Studium entweder noch direkt einen Master anschließen möchte (wer übernommen werden will, muss seinen Master später machen, also entweder wieder berufsbegleitend mit viel Stress oder er steigt aus und verdient in der Zeit nichts) oder wenn er nach der harten Zeit der Doppelbelastung sich Zeit für sich selbst nehmen und z.B. noch den verpassten Auslandsaufenthalt nachholen möchte.
Wer profitiert eigentlich von den dualen Studiengängen?
Die Eltern.
- Die finanzielle Belastung durch ihre Sprösslinge reduziert sich.
- Sie können dann im Verwandtenkreis und in der Nachbarschaft mit stolz geschwellter Brust herum erzählen, dass ihre Kinder „bereits gut untergebracht“ sind. (Beim Bäcker: „Und was macht dein Sebastian? Ach, hat der immer noch nichts gefunden? Also bei meinem Maximilian läuft alles bestens. Der wird nach dem Studium auch noch übernommen und macht dann richtig Karriere“). Das könnte ein Grund dafür sein, warum insbesondere in Baden-Württemberg das Angebot an dualen Studiengängen so groß ist, denn dort scheint – mehr als andern Ortes – der Garten des Nachbarn viel interessanter zu sein als der eigene…
- Dadurch haben Eltern eine Sorge weniger und mehr Zeit für ihre anderen Sorgen.
Die Jugendlichen. Kurzfristig!
- Sie haben endlich Ruhe vor den Eltern und müssen sich nicht mehr dem Druck aus der Verwandtschaft stellen. Dass die Nachteile allerdings überwiegen und dass sie den schönsten Teil ihrer Jugend „verschenkt“ haben, das dämmert ihnen meist erst Jahre später.
Die Firmen. Kurzfristig und langfristig!
- Während der Ausbildung haben sie motivierte und billige Arbeitskräfte. Dafür hat schon ihr professionelles Auswahlverfahren gesorgt.
- Danach haben sie immer noch leistungswillige Arbeitskräfte, die „den Laden“ gut von innen kennen, und die sie weiter pushen können. Mit regelmäßigen Karriere- und Aufstiegsmöglichkeiten versuchen sie, diese Mitarbeiter an sich zu binden (Stichwort: Fachkräftemangel), und da die jungen Leute bisher nichts Anderes kennengelernt haben als ständig Stress zu haben und unter Druck zu stehen, machen Sie dieses System auch brav weiter mit.
- Auf diese Weise ziehen sich Firmen Leute heran, die stromlinienförmig funktionieren.
Merke: Wer Umwege geht, sieht mehr von der Landschaft!
Ständig wird in Deutschland von Burn-out-Prävention geredet, nur handeln wir nicht danach. Nach einer Pressemitteilung des BKK Landesverbandes NRW entstehen unserer Volkswirtschaft allein 6,3 Mrd. Euro nur durch Burn-out-Erkrankungen. Und laut WHO ist Stress eines der größten Gesundheitsrisiken des 21. Jahrhunderts. Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz schätzt die Kosten für den stressbedingten Arbeitsausfall auf jährlich sogar 20 Mrd. Euro allein für Unternehmen in Deutschland. Experten schätzen, dass 10-15 Prozent der Arbeitnehmer bereits betroffen sind, 30 Prozent zukünftig auf jeden Fall erkranken werden und die Dunkelziffer jetzt schon bei 30 Prozent liegt.
Es scheint immer noch genügend Menschen in unserer Gesellschaft zu geben, die in diesem System der totalen Leistungsbereitschaft mitmachen – koste es, was es wolle, und wenn es das eigene Leben ist – und die sich hinterher wundern, dass sie austauschbar sind, wenn sie nicht mehr können. Und unsere Gesellschaft (Eltern, Firmen und Lehrer) hat nichts Besseres zu tun, als unsere Kinder und Jugendlichen genau dort hineinzupressen. Erst verschenken unsere Kinder ihre Kindheit und Jugend durch das G8, das dafür sorgt, dass bei den meisten kaum noch Zeit für echte Hobbys oder Entspannung ist, dann jagen wir sie ohne Pause in ein duales Studium, wo dann der Stress noch größer wird!
Wie blöd sind wir eigentlich?
Was unsere Gesellschaft (und damit sind auch Unternehmen gemeint) ganz dringend braucht, sind nicht Menschen, die funktionieren und steuerbar sind (das können Roboter besser…), sondern das sind Menschen, die gelernt haben zu denken, kreativ zu sein und eigenständig zukunftsorientierte Lösungen zu entwickeln. Das können wir aber nicht, wenn wir nur unter Strom stehen!
Was unsere Gesellschaft braucht, sind Menschen mit hohen psychosozialen Kompetenzen, die auf einer starken emotionalen Basis stehen, Rückgrat besitzen und über ihren eigenen Tellerrand hinausschauen.
Menschen, denen auch das seelische Wohl ihrer eigenen Kinder wichtig ist, die sich Zeit für sie nehmen und nicht nur daran denken, Ihre eigene Karriere immer weiter voranzutreiben und zusehen, dass die materielle Seite stimmt.
Menschen mit Charakter! Charakter wird aber nicht am Schreibtisch, beim Lernen oder unter Stress gebildet.
Meine Empfehlung lautet daher ganz klar: Wer beides will (Ausbildung und Studium), soll auch beides machen! Ich begrüße das außerordentlich. Aber nicht gleichzeitig, sondern nacheinander!
Liebe Schulabgänger: Genießt Eure Zeit der Ausbildung, denn dort bekommt Ihr gutes Feedback, habt Zeit für Euer Wachstum und Eure Reife, und Ihr werdet auf relativ leichte Art einen vollwertigen Abschluss erlangen, der Euch immer tragen wird und der jedem Personaler gefällt, weil Ihr viel Praxiserfahrung gesammelt habt. Und danach fangt Ihr Euer Studium an, das Euch ohne den ganzen Druck viel mehr Spaß machen wird. Ihr habt mehr Zeit für Euch, Zeit für Freunde, auch mal zum Feiern und mehr entspannte Zeit zum Lernen. Das ist Studentenleben.
Wir alle sollten endlich einmal lernen, unsere Zeit zu genießen: Unsere Partnerschaft, das Leben mit der Familie, das Studium und unsere Arbeit! Wer sich Freitag Nachmittag auf das freie Wochenende freut, und am Sonntag Abend schon wieder auf den Montag, der hat ein richtig gutes Leben!