Am 8. März 2014 schrieb der erfolgreiche Headhunter Heiner Thorborg aus Frankfurt im manager magazin online zur Frauen-Quote in den Aufsichtsräten. Hintergrund: Ab 2016 gilt in Aufsichtsräten börsennotierter Gesellschaften in Deutschland mit mehr als 2.000 Mitarbeitern eine Frauenquote von 30 Prozent. Um die Frauen darauf einigermaßen vorzubereiten, sind mittlerweile Seminare entwickelt worden, u.a. vom Verband deutscher Unternehmerinnen. Thorborgs Umgang mit diesem Thema ist in dem Artikel für mich allerdings nicht besonders sachlich oder ehrlich.
In seinem Beitrag zitiert Herr Thorborg den Herausgeber der Fachzeitschrift „Der Aufsichtsrat“, Manuel René Theisen, unter anderem auch Professor am Institut für Corporate Governance der Privaten Universität Witten/Herdecke: „Aufsichtsrat ist und wird auch kein Ausbildungsberuf. Man kann das nicht erlernen“. Und Thorborg gibt ihm Recht, denn er sagt: Ein Unternehmenskontrolleur braucht vor allem Erfahrung, und die erwirbt der Mensch vor allem im Betrieb.
Ja, das ist schon richtig, denn bisher galt das ungeschriebene Gesetz: Wer in einem Dax-Unternehmen für die Kapitalseite in den Aufsichtsrat will, muss zumindest schon mal Vorstand in einem Konzern oder Vorstandschef in einer MDAX-Gesellschaft gewesen sein.
Ich persönlich bin auch als Frau mit einer Frauenquote nicht ganz glücklich, besteht doch immer die Gefahr, weniger als Leistungsträgerin, sondern als Quotenfrau wahrgenommen und belächelt zu werden. Die Argumentation von Heiner Thorborg ist auch durchaus schlüssig formuliert und – oberflächlich betrachtet – zwingend logisch. Aber mich stören hier verschiedene Aspekte, denn wenn man nicht nur das geschriebene Wort liest, sondern auch zwischen den Zeilen, so kann man, wenn auch auf subtile Art und Weise, durchaus von einer herablassenden Polemik sprechen.
So stellt er die Frage, ob es „aus weiblicher Sicht eigentlich überhaupt ein begehrenswerter Karriereschritt (ist), in einen Rat berufen zu werden?“
Ja, ist es denn für Männer ein begehrenswerter Schritt? Und wenn ja, warum sollte er das für Frauen nicht sein? Er stellt die Frage einfach mal in den Raum und bleibt eine weitere Erklärung leider schuldig. Schade! Die Antwort hätte mich doch interessiert.
Bemerkungen wie: „Der feminine Drang zum Wissenserwerb ist natürlich löblich“, „Wer … auch nie etwas Größeres gesteuert hat als das eigene Auto“ und „Frau Schulz-Strelow und ihren Freundinnen kann man also nur zurufen: Mehr Realismus, meine Damen!“ tragen nicht gerade zur Versachlichung der Thematik bei.
Und auch wenn es sicherlich Sinn macht, nicht den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun, nämlich sich erst im operativen Geschäft zu qualifizieren, bevor man sich an die Kontrollfunktionen im Aufsichtsrat wagt, so stellt sich doch die ernsthafte Frage, wie das machbar sein soll, wenn die Herren Vorstandsvorsitzenden die Frauen im operativen Geschäft außen vor lassen, weil sie lieber unter ihresgleichen sind?
Wenn wir darauf warten wollen, dass wir unter den gegebenen Umständen so viele Frauen als Vorstände haben, dass wir unter ihnen eine Auslese betreiben können, dass dann noch 258 Damen – aus jetziger Sicht – für den Aufsichtsrat selektierbar sind, wird es noch Hundert Jahre dauern. Diese Zeit haben wir jedoch nicht für die weitreichenden Veränderungen, die in rasender Geschwindigkeit auf uns zu kommen.
Es ist noch gar nicht lange her, da mussten Frauen ihre Ehemänner um Erlaubnis fragen, wenn sie arbeiten gehen wollten. Das war bis 1977 der Fall. Für die heutige Generation unvorstellbar! Und was damals vielen Herren der Schöpfung nicht geschmeckt haben mag, als dieses Gesetz fiel (und was für uns alle heute doch so selbstverständlich ist), wird auch heute vielen Herrschaften nicht munden und doch in zwanzig Jahren ebenso selbstverständlich sein.
Und woher nimmt Herr Thorborg überhaupt diese Sicherheit, dass die Frauen, die in diese Ämter streben, bisher nur ihr Auto und vielleicht noch einen Einkaufswagen gesteuert haben?!
Das dürfte mitnichten der Fall sein! Zu Guter Letzt ist noch eines anzumerken: Es kann auch durchaus hilfreich sein, nicht „vom Fach“ zu sein (grundlegende Basics natürlich vorausgesetzt), um nicht in alten Denkmustern und Schemata verhaftet zu bleiben, sondern unter Zuhilfenahme des gesunden Menschenverstandes und der eigenen Kreativität Handlungsweisen und/oder Personen in Frage zu stellen, statt vielfach mit Einsatz des aufgeblasenen Egos hungrige Großaktionäre zu befriedigen oder in die eigene Tasche zu wirtschaften.
Weder hat Ursula von der Leyen nach ihrer Schulzeit bei der Bundeswehr gedient, noch hat Angela Merkel Politikwissenschaft oder Volkswirtschaft studiert. Die eine ist Ärztin und nun Chefin der Verteidigung unseres Landes (ja, kann die das denn dann überhaupt??), die andere ist promovierte Physikerin und nun zum wiederholten Male als Kanzlerin an der Macht. Natürlich, werden Sie sagen, die haben ja auch eine Riege an Staatssekretären und Beratern im Hintergrund, die Fakten aufbereiten, damit Entscheidungen schnell und präzise getroffen werden könn(t)en. Nur: Wer sagt uns denn, dass die Frauen, die in die Aufsichtsräte drängen, keine Berater an ihrer Seite haben?
Mein Fazit: Herr Thorborg beruft sich innerlich auf sein herausragendes Renommee als Headhunter in den „besten Kreisen“ unserer DAX-Konzerne und verliert sich dadurch in Spekulationen, Herablassung und Polemik statt die Chance zu nutzen, aktiv etwas dafür zu tun, dass sich die Situation bessert.
Frauen scheinen für ihn, der mit Jahrgang 1944 mittlerweile zum „alten Eisen“ gehört und damit noch aus der Zeit stammt, in der Frauen ihre Ehemänner um Erlaubnis fragen mussten, wenn sie außerhalb von Heim und Herd arbeiten wollten, nicht all zu viele Fähigkeiten aufzuweisen. In einem Interview mit der Berliner Zeitung vom 03.01.2014 bemängelt er an Frauen deren Mangel an Willenskraft und Egoismus sowie die mangelnde Bereitschaft, die Karriere vor die Familie zu stellen. Nun, unsere Gesellschaft befindet sich ohnehin schon in einem desolaten Zustand, und ich mag mir diese nicht auch noch mit überegoistischen Frauen vorstellen. Es gibt im Übrigen außerhalb der DAX-Konzerne noch den großen Mittelstand, der etwa 99% aller umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen ausmacht. Und der wird nicht zu selten von exzellenten Unternehmerinnen geführt, die offensichtlich mehr als große Autos steuern können. Zahlreiche Studien belegen zudem, dass Unternehmen mit diversifizierten Führungsmannschaften wesentlich erfolgreicher sind.
Der ganze Artikel von Thorborg ist jedoch keine Aufmunterung für Frauen, sondern eher eine schallende Ohrfeige und demotivierend, unterstützt durch seine Polemik. Nun mag er anführen, dass er ein großer Verfechter von Frauen in Führungspositionen ist und das mit seiner neuen Firma „The Female Factor“ unterstreicht – die erste Personalberatung ausschließlich für Managerinnen. Hier werden hochqualifizierte weibliche Managementtalente mit Unternehmen, die ihren Anteil an weiblichen Führungskräften erhöhen wollen, zusammengebracht. Nur: Wenn man genauer hinsieht, stellt man fest, dass es dabei ausschließlich um Positionen unterhalb der Vorstands- bzw. Geschäftsführungsebenen geht. Was ist denn mit den Positionen darüber?
Mehr Realismus bitte, die Damen?
Mehr Sachlichkeit und Ehrlichkeit bitte, Herr Thorborg!